Mannheim - Über vier Millionen unserer Mitbürger sind Muslime, werden hier krank, sind unter Umständen schwer krank, sterben meist in einem Krankenhaus oder auch bei Unfällen, fast immer ohne seelsorgerische Begleitung. Diesen Menschen fehlt in krisenhafter Situation die Begleitung durch islamische Seelsorgerinnen und Seelsorger, die ihre Sprache sprechen und den kulturellen und religions-spezifischen Hintergrund haben.
Eine erste Initiative zur Besserung dieser Situation gab es mit Pilot-Ausbildungsgängen „Islamische Seelsorge“, die vom Bundesministerim des Innern, der Georges-Anawati und der Dr. Buhmann-Stiftung gefördert wurden. Diese wurden wie auch eine abschließende Fachtagung in Kooperation vom Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog e.V. und der Evangelischen Akademie der Pfalz durchgeführt. 32 Männer und Frauen, absolvierten die Ausbildung und sind nun bald zwei Jahre in Krankenhäusern und Notfallorganisationen tätig. Herkunftsländer waren Ägypten, Bosnien, Deutschland, Mazedonien, Pakistan, Türkei und Tunesien.
Die Initiative für die Metropolregion
Nach einer viel beachteten Fachtagung in 2010 und akribischer Evaluierung wurde im Mai 2011 die Initiative „Islamische Krankenhausseelsorge in der Metropolregion Rhein-Neckar“ vom Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog e. V. angestoßen. 37 Krankenhäuser, die Integrationsbeauftragten bzw. Gleichstellungsbeauftragten der Städte und Kreise in der Metropol-region und die Vorstände der 52 Moscheevereine wurden über die Ziele der Initiative informiert: 1. Ausbildung von deutsch und türkisch bzw. arabisch sprechenden muslimischen Frauen und Männern zu islamischen Seelsorger und Seelsorgerinnen. 2. Entwicklung einer Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern und auch psychiatrischen Anstalten für das Praktikum und die spätere Tätigkeit in den Einrichtungen. 3. Einbindung der Moscheevereine in die Initiative, insbesondere zur Schaffung von Öffentlichkeit und zur Gewinnung von für diese sensible Tätigkeit geeigneten Frauen und Männern.
Das Mannheimer Institut weist einen nicht zu unterschätzenden Pluspunkt auf: Es ist innerislamisch neutral. Diese Ungebundenheit erlaubt es, über Verbandsgrenzen hinweg zu operieren und zugleich mit islamischen Vereinen und Verbänden zusammenzuarbeiten und die Zusammensetzung aus den verschiedenen muslimischen Bevölkerungsgruppen und islamischen Richtungen zu gewährleisten. Die so gestaltete Einbindung schließt einen richtungsgebenden Einfluss aus.
Positive bei 20 Krankenhäusern, Kliniken und psychiatrischen Anstalten in der Region
Die Initiative wurde fast ausnahmslos nach vertiefenden Gesprächen über die Ausbildungsinhalte, Referenten, Auswahl der Bewerber, Akzeptanz der christlichen Kirchen, und anderen wichtigen Fragen wie dem Bedarf und die bessere Betreuung muslimischer Patienten von den Führungskräften in Krankenhäusern und psychiatrischen Anstalten begrüßt und dann auch positiv entschieden. Islamische Seelsorgerinnen und Seelsorger wird es damit ab dem III. Quartal 2012 an folgenden Anstalten geben: Universitätsklinik (3) und Zentralinstitut in Mannheim, Thoraxklinik, Ev. Krankenhaus Salem und Universitätsklinik (3) in Heidelberg, am Klinikum (2), dem Krankenhaus Zum guten Hirten und der BG Unfallklinik in Ludwigshafen, dem Evangelisches Krankenhaus Hochstift in Worms, den GRN-Kliniken in Weinheim, Schwetzingen und Sinsheim, dem St.-Vincentius-Krankenhaus in Speyer, den Asklepios Südpfalzkliniken in Germersheim und Kandel, dem St. Marien Krankenhaus Lampertheim, dem Heilig-Geist Krankenhaus Bensheim, dem Kreiskrankenhaus Grünstadt, der Stadtklinik Frankenthal und dem Psychiatrischen Zentrum Nordbaden in Wiesloch.
Seelsorge, wie Christen sie kennen, ist den Muslimen noch unbekanntBei Vorträgen vor Mitgliedern zeigt sich, die professionelle Seelsorge, so wie wir sie aus der Gemeindearbeit, in Krankenhäusern und Notfallorganisationen kennen, ist unbekannt. Seelsorge wird von Muslimen verständlicherweise nach dem Koran und nach den Hadithen, den Aussagen des Propheten definiert und gelebt, was im Kern bedeutet, den Kranken zu besuchen und ihm in Leid und Not beizustehen.
Weniger bewusst ist, dass auch bei den muslimischen Mitbürgern wie bei der Mehrheitsgesellschaft Veränderungen eingetreten sind. Eltern leben z. B. an dem einen, die Kinder an einem weit entfernten Ort. Manche haben nur wenige Freunde und sind allein im Krankenhaus, oder wie zu beobachten, mit wachsender Tendenz in einem Altenheim. Auch unter Muslimen gibt es vermehrt Alleinstehende, z. B. allein erziehende Mütter. Gespräche auch mit einer großen Zahl von Imamen haben gezeigt, dass die Mehrzahl die deutsche Sprache nicht spricht. Die Ausbildung ist auf die Gemeindearbeit ausgerichtet, die Themen der Seelsorge hier in Deutschland, von vielen bedauert, gehören nicht zur Ausbildung.
Die Initiative wird von den Moscheevereinen und den islamischen Verbänden als ein wichtiger Schritt auch der Integration begrüßt und findet z. B. auch durch die aktive Unterstützung durch die Religionsattachés in Mainz und Karlsruhe. Die Hürde der Beteiligung an den Ausbildungskosten zu nehmen allerdings bedarf manchmal intensiver Überzeugungsarbeit.
Evangelische und katholische Kirche begrüßen die Initiative
In den auch gemeinsam geführten Gesprächen mit den Landeskirchen der evangelische Kirche in Baden, der Pfalz und Hessen und der katholischen Kirche mit den Bistümern Mainz und Speyer, dem Erzbistum Freiburg und der Diözese Rottenburg-Stuttgart wurden alle Details der Initiative, insbesondere der Ausbildung besprochen.
In der Folge haben die evangelische Landeskirche Baden und die Erzdiözese Freiburg ein Schreiben an die Geschäftsleitungen der Krankenanstalten gerichtet und darin die Initiative begrüßt. Die Verantwortung für die Betreuung des Praktikums und der später tätigen Seelsorger und Seelsorgerinnen sieht man natürlich beim initiierenden Mannheimer Institut. Über die Empfehlung, „von muslimischer Krankenbegleitung zu sprechen, da der Begriff der „Krankenhausseelsorge“ an das christliche Verständnis der Seelsorge und der Seele gebunden ist“, wird sicher in der Zukunft noch breit diskutiert werden.
Integrationsbeauftragte und Gleichstellungsbeauftragte der Städte und Kreise machen mit
Bei den für die Integration Verantwortlichen der Kreise und Städte, natürlich ganz nah am Thema durch ihren Aufgabenbereich, fand das Mannheimer Institut offene Türen vor, weil mit der Initiative
auf einem wichtigen Feld der Gesellschaft wirklich praktische und den Menschen dienliche Integrationsarbeit realisiert wird.
Innerhalb kürzester Zeit kam mit nur einer Absage die Zustimmung zur Förderung der Ausbildungsplätze. Die Absage wurde von einem Kreis fehlenden Mitteln zur Deckung eines Kostenanteils von 350 Euro und weiter damit begründet, dass man keine Aktivitäten von religiösen Gemeinschaften fördert. Über diese Begründungen mag sich jeder selbst ein Urteil bilden.
Baden-Württembergs Ministerium für Integration sieht die Notwendigkeit der Seelsorge für Muslime
Das Mannheimer Institut konnte die Initiative und multiplikationsfähige Mannheimer Modell auch an das Ministerium für Integration vorstellen. Die Gesprächspartner im Ministerium, mit der Thematik wohlvertraut, sagten im Wissen um die Wichtigkeit für die Muslime und Integration zu, ein auf die Übertragung auf weitere Regionen Baden-Württemberg zielendes Projekt zu prüfen und nach Möglichkeit zu fördern.
Für die Seelsorgetätigkeit geeignete muslimische Frauen und Männer zu finden ist nicht einfach
Erster Schritt zur Gewinnung von Muslimen für die Seelsorgearbeit war deshalb die Information über die Philosophie und Praxis der Seelsorge in Deutschland.
In Einzelgesprächen mit Bewerber und Bewerberinnen für die Ausbildung konnten dann geeignete Frauen und Männer an oder nahe zu den Standorten der Krankenanstalten gefunden und mit ihnen eine Ausbildungsvereinbarung geschlossen werden. Geeignet bedeutet: Muslima bzw. Muslim zu sein, deutsch und arabisch oder türkisch zu sprechen und mit der Herkunftslandkultur und auch der deutschen Kultur bzw. Gesellschaft vertraut und offen und kommunikationsbereit gegenüber Menschen anderer Kultur und Religion zu sein. Persönlichkeit zu sein, die sich in Konfliktsituationen behauptet und im Menschen in der Krankheitskrisensituation zuwenden und Beistand leisten kann, Verantwortung übernehmen kann und auch will und auch bereit ist, sich für eine zweijährige seelsorgerische Tätigkeit zu verpflichten.
Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Ende Januar 2012 begonnenen Ausbildung sind Arzthelferin oder auch Hausfrau mit sozialen Aufgaben im Moscheeverein, kommen aus kaufmännischen und handwerklichen Berufen oder sind auch selbstständig, meist deutsche Staatsbürger, oft hier geboren. Herkunftsländer sind die Türkei, Kosovo, Albanien und Marokko.
Die Ausbildung
umfasst 165 Stunden Unterricht und rund 80 Stunden Praktikum einschließlich begleitender Supervision im Abstand von ca. acht Tagen. Die Referent(inn)en bringen ihre Praxiserfahrung themenabhängig ein. Sie sind in der Krankenhausorganisation, in der Seelsorge, in der Psychotherapie oder z. B. als Theologen oder Religionswissenschaftler tätig.
Neben dem Schwerpunkt der seelsorgerischen Gesprächsführung mit Patienten, erwachsenen Familienmitgliedern und Kindern sind religionsgeschichtliche, psychologische, juristische und organisatorische Themen, die Leistungen des Sozialdienstes, die Bestattung von Muslimen und auch die Anleitung zur Selbstreflexion mit Selbstsorge zur physischer und psychischer Eigensicherung Teil der Ausbildung.
Eine anspruchsvolle wie auch zeitintensive Ausbildung, die die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in der Zeit bis Ende Juni 2012 absolvieren, um dann im 3. Quartal die Tätigkeit an Krankenhäusern in der Metropolregion aufzunehmen.
Islamische Seelsorge oder muslimische Krankenbegleitung vom Aufbruch zur Normalität
Natürlich freut man sich beim Mannheimer Institut darüber, von der Seelsorge am Ort wird erstmals in Deutschland der wichtige Schritt in die Versorgung einer Region gemacht, wird die Vernetzung z. B. auch in Richtung der Notfallseelsorge oder bei Großschadensereignissen möglich, wird Seelsorge für Muslime das, was sie für jeden Mitbürger sein soll: Normalität, Hilfe in krisenhaften Lebenssituationen.
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